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Fotografie im Nebenerwerb: Zwischen Beruf, Berufung und künstlerischer Freiheit

  • Autorenbild: Lars-Henrik Roth
    Lars-Henrik Roth
  • 4. Okt.
  • 6 Min. Lesezeit

Viele Fotografen fragen sich: Wie bleibt künstlerische Fotografie relevant – trotz Preisdruck, KI und fehlender Sichtbarkeit? Meine Antwort: Durch Freiheit und den Mut, hoch zu zielen.

 

Viele von uns, die künstlerisch fotografieren, kennen das gleiche Dilemma: Mit Fine-Art-Landschaftsfotografie allein lassen sich keine Rechnungen bezahlen. Die Miete, das Auto, die Familie – all das verlangt Sicherheit. Und so arbeiten wir in klassischen Berufen, im Büro, in der Werkstatt, im Handel. Wir gehen unserem 9-to-5 nach und tragen unsere kreative Leidenschaft wie ein zweites Leben in uns. Besonders Landschafts- und Wildlife-Fotografen spüren die Zerrissenheit: Sie sind abhängig vom Wetter, von Lichtfenstern, von Wochenenden. Studiofotografie ließe sich planen, Produkte und Menschen zahlen die Miete – aber das wäre Auftragsfotografie, nicht die freie Kunst. Und genau darum geht es hier: um die Freiheit, die entsteht, wenn wir Fotografie nicht als Broterwerb, sondern als Berufung leben.


Ein nebelverhangener Pfad, der in eine weiße Landschaft führt – Symbol für Aufbruch und Sehnsucht.
Pfad ins Weiß

Warum künstlerische Fotografie selten ein Beruf ist

Es ist eine Tatsache: Künstlerische Fotografie – und gerade die stille, langsame Landschafts- und Naturfotografie – trägt sich nicht wirtschaftlich. Und sie wird es auch in Zukunft nicht tun, denn der Markt honoriert Masse, Geschwindigkeit und Trends. Während Influencer auf YouTube Ausrüstung testen und in Kooperationen Produkte empfehlen, arbeiten stille Fotografen mit Licht, Nebel und Geduld. Das eine verkauft sich, das andere bleibt in Nischen. Wer sich für die Nische entscheidet, weiß: Man wird die Kamera niemals zum Hauptberuf machen können. Und doch fotografieren wir – vielleicht gerade deshalb.

Die Arbeit der Berufsfotografen respektiere ich zutiefst. Sie tragen Verantwortung, liefern zuverlässig und leben von ihren Aufträgen. Das ist eine große Leistung, die Disziplin, Fachwissen und Organisation erfordert. Mein Weg ist ein anderer: Ich habe den Vorteil, nicht vom Verkauf abhängig zu sein. Daraus entsteht eine Freiheit, die ich für meine künstlerische Fotografie nutze.


Zeit und Wetter: die Herausforderungen für Fotografen im Nebenerwerb

Der Alltag kennt feste Zeiten: Arbeitsbeginn, Besprechungen, Feierabend. Fotografie hingegen kennt keine Uhrzeiten, sondern nur das richtige Licht. Die goldene Stunde fällt oft auf 6:30 Uhr an einem Dienstagmorgen, wenn wir im Büro sein müssen. Oder auf einen Donnerstagabend im Sommer, wenn der Kalender voll ist. Das Wetter macht Termine, ohne Rücksicht auf unsere Schichtpläne. Frust ist vorprogrammiert. Wer ernsthaft fotografiert, kennt die Enttäuschung: Man hat Zeit, aber kein Licht. Man hat das Licht, aber keine Zeit. Und dennoch ziehen wir immer wieder los – weil wir nicht anders können.


Blick durch eine Felsöffnung auf die tief stehende Sonne; Geländer im Gegenlicht – eine Schwelle, ein Durchbruch.
Fenster zum Licht – Altenahr

Viele Fotografen stehen vor dem gleichen Spagat

Viele Leser dieses Blogs werden sich genau hier wiederfinden. Ihr kennt es: Der Spagat zwischen Beruf, Familie und der eigenen Leidenschaft. Die Fotografie ist keine Einkommensquelle, sondern eine Quelle innerer Kraft. Wir sparen auf Ausrüstung, wir stehen früh auf, wir fahren los, obwohl am Ende nur graue Wolken warten. Und doch gibt es diese Momente – wenn plötzlich ein Lichtstrahl durchbricht, wenn Nebel über dem Fluss aufsteigt, wenn die Sonne ein Tal in Gold taucht. Diese Momente nähren uns wochenlang. Sie lassen uns weiterträumen. Sie erinnern uns daran, warum wir die Kamera überhaupt in die Hand genommen haben.


Fotografie im Nebenerwerb: Frei und unabhängig

Und genau hier liegt der Wendepunkt. Wer die Fotografie nicht als Hauptberuf betreibt, ist frei. Frei von Kundenwünschen. Frei von Deadlines. Frei von Algorithmen. Wir müssen keine Bilder liefern, die sich verkaufen. Wir dürfen Bilder machen, die uns selbst berühren. Während Berufsfotografen oft gezwungen sind, Kompromisse einzugehen, dürfen wir kompromisslos unserem eigenen Blick vertrauen. Die Zeit ist knapp, ja. Aber die wenigen Stunden draußen sind verdichtet, intensiv, wahrhaftig. Jedes Bild wird zu einem Geschenk, nicht zu einer Pflicht. Das ist keine Schwäche, sondern unsere größte Stärke.


Der Rursee in absoluter Stille mit klarer Spiegelung – Sinnbild für Ruhe und Gelassenheit.
Spiegelung am Rursee

Fotografie und Wetter: Lektionen für Landschaftsfotografen

Gerade für Landschafts- und Wildlife-Fotografen wird das Wetter zum ständigen Begleiter – und zum Lehrer. Wir lernen Geduld, weil wir warten müssen. Wir lernen Demut, weil wir das Wetter nicht ändern können. Und wir lernen Dankbarkeit, weil wir jedes kurze Lichtfenster wie ein Geschenk erleben. Während Studiofotografen jede Lampe kontrollieren, lernen wir, das Unkontrollierbare zu umarmen. Diese Haltung verändert nicht nur unsere Bilder, sondern auch uns selbst. Wir werden gelassener, achtsamer, präsenter.

 

Dramatische Felsformationen in der Teufelsschlucht – Symbol für Herausforderung und Beharrlichkeit.
Felsen der Teufelsschlucht

Der Wert und die Unsichtbarkeit der Fotografie

Ein weiteres Problem, das unsere Branche seit Jahren begleitet, ist die Preisspirale. Viele Amateure bieten ihre Dienste zu Discountpreisen an, oft ohne das nötige Wissen über Licht, Komposition oder Bildsprache. Kunden achten nicht auf Qualität, sondern nur auf den Preis – und nehmen dilettantische Ergebnisse in Kauf. Diese Entwicklung hat bereits vor dem Aufkommen von KI begonnen, aber die Künstliche Intelligenz verschärft sie. Noch mehr Bilder, noch schneller, noch billiger – und doch fehlt diesen Ergebnissen oft die Seele. Gerade in dieser Situation gewinnt die bewusste, künstlerische Fotografie an Wert: nicht Masse, sondern Klasse, nicht Geschwindigkeit, sondern Tiefe.

Das zweite Problem ist die Unsichtbarkeit selbst der Besten. Fragen wir nach berühmten Bildern, kennen viele Menschen sie sofort – wie das ikonische Portrait des afghanischen Mädchens mit den strahlend grünen Augen auf dem Cover des National Geographic. Doch wenn man fragt, wer dieses Bild gemacht hat, herrscht Schweigen. Kaum jemand kennt den Namen des Fotografen: Steve McCurry. Das zeigt, wie selbst die größten Meister hinter ihren Werken verschwinden. Bilder werden berühmt, Fotografen bleiben unbekannt.

Genau deshalb darf es nicht um Ruhm allein gehen. Es geht darum, Bilder zu schaffen, die Bestand haben – unabhängig von Trends, Märkten und Algorithmen. Für uns, die wir Fotografie im Nebenerwerb betreiben, bedeutet das Freiheit: Wir können uns auf das konzentrieren, was wirklich zählt – das Bild selbst. Und wenn daraus trotzdem eine Ausstellung, ein Preis oder ein Explore wird, dann ist es ein Geschenk, kein Muss. Eine Krönung, kein Zwang.


Warum seltene Fotomomente oft die besten sind

Ein Berufsfotograf fotografiert täglich, muss liefern, egal ob die Bedingungen stimmen oder nicht. Wir dagegen fotografieren selten, vielleicht nur an Wochenenden oder im Urlaub. Aber genau diese Seltenheit macht jedes Bild wertvoll. Wie eine rare Pflanze, die nur einmal im Jahr blüht, haben unsere Bilder eine besondere Intensität. Sie sind nicht alltäglich, sondern Ausnahme. Und vielleicht ist es genau diese Ausnahme, die sie unverwechselbar macht.


Nebellandschaft auf der Hochfläche des Mont Rigi – poetisch, still, weit
Morgendunst über dem Mont Rigi

Auch als Fotograf hohe Ziele setzen

Freiheit bedeutet nicht, klein zu träumen. Gerade weil wir unabhängig sind, können wir groß denken. Wir dürfen Explore-Bilder anstreben. Wir dürfen an Wettbewerben teilnehmen, unsere Werke in Galerien einreichen, uns mit den Besten messen. Nicht, weil wir es müssen, sondern weil wir es wollen. Wer hohe Ziele hat, wird anders fotografieren: bewusster, konzentrierter, leidenschaftlicher. Nicht jeder erreicht eine Vernissage oder den Preis. Aber jeder, der es versucht, wächst über sich hinaus. Und eines Tages, vielleicht, stehen wir da: mit einem Glas Sekt in der Hand, lächelnd zwischen Menschen, die unsere Bilder betrachten und fragen, wie dieser Weg möglich war – während wir im Stillen wissen: Es war die Leidenschaft, die uns hierhergeführt hat.

Es geht nicht darum, Berufsfotografen Konkurrenz zu machen. Sie arbeiten in einem anderen Rahmen, mit klaren Zwängen und Pflichten. Für uns Amateure ist das Ziel ein anderes: mit Leidenschaft und Beharrlichkeit Bilder zu schaffen, die trotzdem auf Augenhöhe bestehen können – sei es in Wettbewerben, in Galerien oder in der Explore-Auswahl.

Hohe Ziele sind keine Gefahr für die Freude. Im Gegenteil: Sie geben ihr Richtung. Es ist nicht der Algorithmus, der unsere Kunst adelt, sondern die Konsequenz, mit der wir an uns arbeiten. Talent allein reicht nicht. Aber Talent, gepaart mit Wille und Beharrlichkeit, kann auch aus der Nische hinaus auf das Podium führen. Und selbst wenn wir das Treppchen nicht erreichen – wir werden nie zurückblicken und sagen: Ich habe es nicht versucht. Wir werden sagen: Ich habe gekämpft, geliebt, gelernt – und meine Bilder sind der Beweis.


Sonnenaufgang über der Heide mit leuchtenden Farben – Symbol für Hoffnung und NeubeginnSonnenaufgang über der Heide mit leuchtenden Farben – Symbol für Hoffnung und Neubeginn
Heide im Morgenlicht

Fotografie als Berufung statt Beruf

Und so entsteht aus dem scheinbaren Nachteil – Fotografie nur im Nebenerwerb – eine stille, aber große Freiheit. Wir müssen nicht gefallen. Wir müssen nicht verkaufen. Aber wir dürfen alles anstreben: die Explore-Galerie, die Wettbewerbe, die Preise, die Anerkennung. Wir dürfen unsere Fotografie als Berufung leben, nicht als Beruf – und trotzdem mit dem Ehrgeiz der Besten arbeiten. Das macht uns unabhängig, und es macht unsere Kunst ehrlich.

Und so bleibe ich zufrieden mit meinen 11.000 Followern auf Instagram, auch wenn der Algorithmus die Reichweite immer weiter beschneidet. Ich werde keinen YouTube-Kanal eröffnen, keine gesponsorten Produkte anpreisen, keinem Tech-Trend hinterherlaufen. Stattdessen werde ich morgens ins Büro gehen, abends nach Hause kommen – und am Wochenende meine Freiheit feiern: mit der Kamera, im Licht, im Wald.

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